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Singen weckt Erinnerungen „Die Herbstzeitlosen“ sind ein neues Chorprojekt der Alzheimer Gesellschaft Lüneburg

30.10.2017

Die „Caprifischer“ und „Am Samstag will mein Süßer mit mir segeln gehen“ gehören zum festen Repertoire, wenn Annette Bruns alle zwei Wochen zum Chorprojekt „Die Herbstzeitlosen“
einlädt. Der Name ist mit Bedacht gewählt, schließlich soll die Veranstaltung hauptsächlich an Demenz erkrankte Menschen und ihre Angehörigen ansprechen. „Viele der Teilnehmer, die
bereits den Herbst Ihres Lebens erreicht haben, haben nicht mehr das gleiche Empfinden für Zeit wie ein gesunder Mensch“, erläutert Annette Bruns. Davon abgesehen sei die Herbstzeitlose eine wunderschöne Blume, betont sie. Die Kulturpädagogin, die verschiedene Chorprojekte in Lüneburg und Umgebung leitet, hat im Mai mit viel Leidenschaft begonnen, mit dieser singenden Gemeinschaft zu musizieren. Der Chor ist ein Angebot der Alzheimer Gesellschaft Lüneburg e.V. und trifft sich immer 14-tägig donnerstags von 10.45 bis 11.45 Uhr im „Geschwister Scholl Haus“ in der Carl-von-
Ossietzky-Straße 9. Mit dem Projekt will man ein Kulturangebot schaffen, bei dem die Erkrankung Demenz für die Teilnehmenden in den Hintergrund tritt. „Es geht einfach um den Spaß an den Melodien, dem Rhythmus und der Musik“, erläutert
Annette Bruns, die die Sänger auf der Gitarre begleitet.
Gerade die ältere Generation sei noch mit einem breiten Spektrum an Liedgut aufgewachsen, hat die Pädagogin während ihrer Arbeit erfahren. „Da ist vieles noch im Langzeitgedächtnis gespeichert“, sagt sie. Nicht nur während der Schulzeit gehörte damals das Singen und Auswendiglernen
von Texten zum Unterricht, auch das gesellige Beisammensein wurde früher häufig von Musik und Gesang begleitet. Eben diese Erfahrungen werden bei den „Herbstzeitlosen“ abgerufen, daher werden hauptsächlich Lieder angestimmt, die die Teilnehmer aus ihrer Jugend kennen. Neben Schlagern finden
sich auch viele Volkslieder in der Notenmappe von Annette Bruns. „Es ist toll, wenn dann selbst ein mehrstimmiger Kanon funktioniert.“ Für die Teilnehmenden sei das immer wieder ein ganz großes Erfolgserlebnis. „Sie werfen einen Blick in ihre eigene Vergangenheit, und manch einer schwelgt geradezu in Erinnerungen. Kürzlich sagte eine Frau zu mir, dass sie sich wieder wie mit 17 fühle“, berichtet Annette Bruns. Es könne jedoch genauso vorkommen, dass beim Gedanken an frühere Zeiten Trauer entstehe, so hat die Chorleiterin erlebt. „Doch bei uns darf auch gerne mal geweint werden, schließlich ist Gesang ein wunderbares Ventil.“
Beim Singen geht es nicht nur um die Stimme, der gesamte Körper wird angesprochen. Gesang und Musik ermuntern zu Bewegung und Tanz, so dass die Melodien ein perfektes Mittel zur Aktivierung ist. Aber auch Verständnis und Gemeinschaftsgefühl werden angesprochen – eigentlich wie bei jedem anderen Chor auch. Im Chor spielt die Erkrankung keine Rolle. Das Chorprojekt der Alzheimergesellschaft steht für
Normalität und möchte dazu beitragen, das Thema Demenz in der Öffentlichkeit weiter zu enttabuisieren. Jenseits von Betreuung und Pflege wird ein Freizeitangebot zur Verfügung gestellt, das möglichst alle mitnimmt und gleichzeitig in dem gemeinsamen Miteinander positive Gefühle, Lebensfreude
und schöne Erlebnisse vermittelt. „Die Teilnehmer – ganz gleich ob selbst Betroffene oder die Angehörigen – lassen für eine Weile den Alltag und all das Schwere, das auf ihnen lastet, hinter sich“, so Annette Bruns. Freude, Teilhabe, Kommunika- tion: Damit sind die Möglichkeiten von Musik bei Alzheimer aber noch nicht erschöpft. Menschen mit Demenz können – während andere Fähigkeiten langsam schwinden – musikalisch sogar Fortschritte machen. In diesem Bereich können Kompetenzen
und Ressourcen entdeckt, gefordert und gefördert werden. Für ihr Projekt suchen die „Herbstzeitlosen“ noch weitere  Sängerinnen und Sänger mit und ohne Demenz. „Bei uns kann jeder mitmachen“, macht Chorleiterin Annette Bruns Mut, es einfach mal zu probieren. „Man braucht keinerlei Singerfahrung
und muss auch keine Noten lesen können“, betont die Pädagogin, die an diesem Projekt große Freude hat. „Es ist eine tolle Aufgabe, denn man bekommt unheimlich viel von den Teilnehmern zurück.
Wer Interesse hat, meldet sich einfach bei der Alzheimer Gesellschaft Lüneburg e. V. unter der Telefonnummer (04131) 76 66 56.

Artikel aus dem Quadrat Magazin: quadrat 09 / 2017(cb)

 

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